Kinderköder Online-Werbung I Das gute Gewissen und die Wirtschaft
Was wie eine Fabel klingt, hat in der Wirklichkeit keine „Moral to go“: Das Thema „Wie werbe ich medienpädagogisch wertvoll und zugleich wirtschaftlich?“
In unserem ersten Teil der Reihe „Kinderköder Online-Werbung“ haben wir uns mit dem Thema bereits auseinandergesetzt, Gesetze herangezogen und erste Regeln für Werbetreibende im Umgang mit Kinderwerbung definiert.
In diesem Zusammenhang hatten wir auch bereits die Selbstkontrolle der Werbewirtschaft erwähnt. Hersteller können sich freiwillig der „[…] Selbstverpflichtungen unterwerfen, die eine weitere Kontrollinstanz neben den gerichtlichen Kontrollen zur Eindämmung von Irreführungen in der Werbung darstellen“ (Heidenreich 2016, S. 191). Dies muss nicht jedes Unternehmen in Eigenregie umsetzen. Es können auch mehrere Firmen gemeinsam Reglementierungen entwerfen, die dementsprechend dann auch für eine Vielzahl von Unternehmen gelten.
Aber was bedeutet das in der Praxis? Gibt es Beispiele? Ja!
Der Erfurter Netcode agiert als eingetragener, gemeinnütziger Verein, der „[…] sich für die Qualität von Kinderseiten im Internet einsetzt, ein Bewusstsein für die Bedeutung qualitativ hochwertiger Internetseiten für Kinder schaffen will und ein Siegel für herausragend positive Angebote vergibt.“ Jüngst wurde das Sigel zum Beispiel an den Internetblog Bloggerbande vergeben: Ein cooles Mitmachangebot für Kids, das zeigt, dass crossmediales Marketing funktioniert. Der Blog ist eine Ergänzung zur Buchreihe „Die Bloggerbande“ aus dem Verlagshaus Lingen und verknüpft digitale Inhalte mit klassischen Printprodukten.
Auch in der Lebensmittelbranche ist das Thema Selbstverpflichtung präsent. Mit der EU Pledge-Initiative haben sich zahlreiche Unternehmen dem Credo „We will change our food advertising to children“ verpflichtet. Namen wie Coca-Cola, McDonald’s Europe, Nestlé und Ferrero stehen auf der Teilnehmerliste.
Wie deren Selbstverpflichtung aussieht fragst Du dich kritisch?
Zurecht, findet Professor Dr. med. Matthias Blüher, Präsident der deutschen Adipositas Gesellschaft DAG), der auf eine erst kürzlich veröffentlichte Studie aus Großbritannien verweist. Deren Ergebnisse zeigen, dass sich mehr als die Hälfte der elf- bis 19-jährigen Jugendlichen durch Werbung unter Druck gesetzt fühlt, ungesundes Junk-Food zu konsumieren:
„Minderjährige und junge Erwachsene lernen heute zunehmend durch Werbung in ihren bevorzugten Social-Media-Kanälen, dass Junk Food, Cola, Limo & Co. hippe Lebensfreude verheißen – stattdessen besteht international wissenschaftlicher Konsens: Junk Food, Cola, Limo & Co. machen langfristig dick und krank. Ein gesetzlicher Schutz Minderjähriger vor Animation zu ungesundem Konsum durch Werbung ist längst überfällig.“ (Blüher 2018, in Pressemeldung der DGG)
Auch Professor Dr. med. Baptist Gallwitz, Pressesprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DGG), vertritt den gleichen Standpunkt. Seiner Meinung nach führt die Selbstverpflichtung der Industrie mitnichten zu verantwortungsvollem Marketing. Die einzige Lösung sieht er in gesetzlichen Vorgaben (vgl. Gallwitz 2018, ebd.).
Ist die so genannte Selbstkontrolle also auch nur ein Marketing-Gag, um das Gewissen von Webetreibenden zu beruhigen? Laut Gallwitz und Blüher: ja. Dennoch stellt sich die Frage: Ist es denn wirklich alles so schlimm? Können Kinder den Bedeutungskontext von Werbung wirklich nicht erfassen?
Laut einer renommierten Studie von Dreyer, Lampert und Schulze (2014) wissen Kinder durchaus, was Werbung ist. Jedoch ist das Werbewissen von Kind zu Kind verschieden. Fordert man Kinder auf, „Werbung“ zu definieren, greifen sie meist einen Teilaspekt auf. Sprich: Das kindliche Portfolio an werblichen Erkennungsmerkmalen unterscheidet sich je nach Alter. Die Medienanstalt Hamburg wird konkreter: Erst ab einem Alter von sieben Jahren können Kinder Werbung erkennen (vgl. Süddeutsche Zeitung 2018). Die Ergebnisse im Speziellen könnt ihr unserer Infografik entnehmen.
Resümieren fällt hierbei – gerade aus Sicht eines Werbetreibenden – schwer. Dennoch sind wir der Meinung, dass Produkte nicht unter Pseudo-Sigeln beworben werden sollten. Ein hippes Lebensgefühl durch Produkt XY zu suggerieren und gleichzeitig pädagogisch wertvoll sein zu wollen, passt leider nicht so richtig gut zusammen.
Grundsätzlich sollten sich Unternehmen und Werber die Thematik öfter bewusst machen und versuchen, ihre Werbung so gestalten, dass Kinder zumindest begreifen, dass gerade geworben wird.
Hier können auch Eltern einen Großteil präventiv leisten, denn schließlich ist Werbung letzten Endes nur ein Angebot. Und der Umgang mit Angeboten – egal welcher Art – will gelernt sein.
Mehr dazu folgt im nächsten Blogbeitrag. Seid gespannt!
Verwendete Links/Literatur
- Heidenreich et. al. (2016): Werbung für kosmetische Mittel, B.Behr’s Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg.
- DAG (2018): Schluss mit Marketing-Wildwuchs für Dickmacker – Minderjährige gesetzlich schützen, unter: https://www.kinderaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/schluss-mit-marketing-wildwuchs-fuer-dickmacher-minderjaehrige-gesetzlich-schuetzen/ (Stand: 23.04.2018).
- Dreyer, Stephan; Lampert, Claudia; Schulze, Anne: Kinder und Online-Werbung. Erscheinungsformen von Werbung im Internet, ihre Wahrnehmung durch Kinder und ihr regulatorischer Kontext. Leipzig (Vistas), 2014. Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen, Band 75.
- Süddeutsche Zeitung (2018): Kinder erkennen Werbung erst ab sieben Jahren, unter: http://www.sueddeutsche.de/news/leben/familie-kinder-erkennen-werbung-erst-ab-sieben-jahren-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-180412-99-862144 (Stand 23.04.2018).
[…] der Werbewirtschaft hierbei haben wir bereits in unseren ersten beiden Blogbeiträgen (Blogbeitrag 1, Blogbeitrag 2) […]